Montag, 19. September 2016

Internationales Filmfestival Oldenburg 2016 – Ein Besuch



Wie heißt es so schön in einem Slogan des Festivals: “Five Days to Blow Your Mind“. Für mich waren es in diesem Jahr beim Filmfest Oldenburg zwar nur zwei Tage (im Jahr 2015 leider nur einer – nächste Jahr dann ….), aber diese beiden Tage  haben sich wirklich gelohnt. Eine überaus sympathische und entspannte Festivalatmosphäre, eine starkes Filmprogramm, fachkundiges Publikum, das die vielen Independent-Produktionen mit einem Besuch und Wertschätzung belohnt, Anwesenheit sehr vieler Filmemacher auch noch bei den zweiten Vorführungen ihrer Filme, eine gelungene Organisation, Filmvorführungen zur tollen Mitternachtszeit (am Samstag um 23.45 Uhr), ….. Schön war’s in Oldenburg! 


Auszeichnungen gab es natürlich auch:
Der Hauptpreis, der German Independence Award für den besten Film in der Independent-Reihe des Filmfests ging an die türkische Produktion THE APPRENTICE (Türkei 2016) von Emre Konuk. Ich habe diesen Film nicht ansehen können, meine Hamburger Freunde von Shakedown Films bestätigten mir jedoch, der Preis sei sehr verdient.

Der German Independence Award für den Besten Kurzfilm ging ebenfalls an einen türkischen Film, THE CIRCLE von Ruken Tekes, der die Jury mit seiner „universellen Relevanz“ überzeugte und sie mit seiner „allegorischen, beispielhaften Kraft und seiner poetischen Bildsprache extrem bewegte“. 

Der Seymour Cassel Award für die besten Darsteller ging in diesem Jahr an Noémie Merlant  für ihre Hauptrolle in TWISTING FATE sowie an André Hennicke in STRAWBERRY BUBBLEGUMS, mit dem das Filmfest Oldenburg am 14.9. eröffnet worden war. 

Zu den Gästen des diesjährigen Festivals gehörten u.a. Nicolas Cage und Amanda Plummer und der französische Regisseur Christophe Honoré, die in Tributes bzw. Letzterer in einer Retrospektive geehrt wurden.  

Ich habe an zwei Tagen fünf Filme angesehen, auch wenn der Zeitplan mindestens zwei weitere Veranstaltungen zugelassen hätte. So aber blieb Zeit, auch mal entspannt ein Bierchen in der Hotelbar zu genießen. Hier sind sie (beim Klick auf die Filmtitel gelangt man zu den Webseiten der Filme):

Alle fünf Filme haben mir wirklich sehr gut gefallen, insbesondere Cameron Bruce Nelsons SOME BEASTS (USA 2015), ein visuell starker Film über einen Mann, der in einer Hütte in der Abgeschiedenheit der Appalachen lebt und durch zwei Ereignisse aus seinem ruhigen Leben in Einklang mit der Natur gerissen wird. Ein beeindruckendes Debüt! 


SHE'S ALLERGIC TO CATS, bewusst auf VHS-Qualität reduziertes Low-Budget-Werk des in Hollywood lebenden Videokünstlers Michael Reich mit Sonja Kinski (der Tochter Nastassja Kinskis) in der weiblichen Hauptrolle. Es ist in vielen Teilen die Geschichte Reichs selbst, der früher in Hollywood als Hundefrisör arbeitete. Im Film spielt sein Freund Mike Pinkney den „dog groomer“, der von einer Karriere als Regisseur träumt. Sein erstes Projekt soll eine Art Remake seines Lieblingsfilms CARRIE werden, in dem Katzen (!) die Protagonisten sind. Er kämpft mit allerlei Unwägbarkeiten in seinem Leben, u.a. mit Ratten in seinem heruntergekommenen Häuschen, die seine Bananen fressen. Klingt nicht gut? Aber doch, es war ein amüsantes, experimentelles Filmerlebnis, das Spaß gemacht hat und zeigt, dass man Filme auch mal ganz anders machen könnte. 


Vor Reichs Film konnte man den ebenfalls sehr gelungenen (aber konventionell erzählten) Kurzfilm INDIGO der kanadischen Regisseurin Jody Wilson entdecken, den sie ausschließlich mit japanischen Darstellern und auch in japanischer Sprache gedreht hat. 

STRAY BULLETS (USA 2016), erstaunlich reifes Langfllmdebüt des erst 16jährigen Jack Fessenden, in dem er den Waffenkult aufs Korn nimmt. Im Q&A nannte Fessenden Tarantinos RESERVOIR DOGS als Inspiration für seinen Film. Larry Fessenden, Vater des Regisseurs, übernahm die Kameraarbeit und spielte einen der Ganoven. 


DAS LETZTE ABTEIL (D 2015), des in Oldenburg áufgewachsenen Regisseurs Andreas Schaap. Das Heimspiel sorgte für einen vollen Saal zur mitternächtlichen Zeit. Ja, und dieser Film arbeitet noch in mir. Sechs Menschen in einem Zugwaggon, der irgendwo in den Alpen von einer Lawine begraben wurde. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, denn die Luft wird langsam knapp und die Rettungskräfte lassen auf sich warten. Vordergründig gibt es Elemente aus Horror- und Katastrophenfilmen, doch letztendlich geht es in dem Film um eine Mutter, die nach einem Selbstmordversuch seit vielen Jahren im Koma liegt, und ihre Tochter, die vor der Entscheidung steht, Sterbehilfe zu leisten und sich auch der Schuld der Mutter zu stellen, die vor ihrem Suizidversuch den Tod zweier junger Menschen zu verantworten hatte. Es führt nur ein Weg raus aus dem letzten Abteil. 


THE NOONDAY WITCH (Tschechien 2016), Regie Jiri Sádek. Psychothriller mit Horrorelementen nach dem tschechischen Gedicht über eine Mittagshexe, die sich Kinder holt. Auch hier trügt der Schein ein wenig, denn im Mittelpunkt des Films steht doch eher die Überforderung einer alleinerziehenden Mutter, die ihren Mann durch Selbstmord verloren hat. Es geht um Verlust und die Sorge einer Mutter um ihr Kind, eine Sorge, die sie den Realitätssinn allmählich verlieren lässt. Wer ist tatsächlich die Mittagshexe im heißen tschechischen Sommer, die das Kind aus dem Leben reißen könnte? 

 
Ich bin gespannt, ob einer dieser Filme einen regulären Kinostart in Deutschland erleben wird. Vertrauen tue ich darauf nicht, denn das weltweite Filmangebot ist doch einfach zu groß, um auch nur einen Bruchteil dieser Filme in deutschen Kinos erwarten zu können. Perlen wie diese wird man häufig nur auf Filmfestivals wie beispielsweise dem tollen Filmfest Oldenburg erleben und entdecken können. Das ist bedauerlich, aber umso mehr ein Grund, im nächsten September wieder nach Oldenburg zu fahren. Freue mich schon darauf!